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Sexualisierte Kriegsgewalt - hat die Internationale Strafgerichtsbarkeit hier versagt?

Die Justiza am Friedenspalast in Den Haag. Der Friedenspalast, im Jahr 1913 erbaut, ist der Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs.

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Die juristische Aburteilung sexualisierter Kriegsgewalt ist bei internationalen Strafgerichtsverfahren ebenso wie auf nationaler Ebene eine Ausnahme. Daran haben auch UN-Resolutionen zu Frauen, Frieden und Sicherheit von 2000 und 2008 sowie das sogenannte Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) von 2002 nichts geändert. Ausdrücklich wird hier zwar festgestellt, dass sexualisierte Gewalttaten im Kontext bewaffneter Konflikte und Kriege, wie Vergewaltigung, Zwangssterilisation, erzwungene Schwangerschaft, sexuelle Versklavung und Zwangsprostitution als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anzuerkennen und zu ahnden sind. Doch nur selten werden vor Internationalen Strafgerichten diese Straftaten verhandelt, und noch seltener fällt hierzu überhaupt ein Schuldspruch.

Was sind dafür die Gründe und Hintergründe? Wie kann verhindert werden, dass die meist weiblichen Opfer als Zeuginnen und Nebenklägerinnen in den wenigen Strafverfahren, wo es um sexuelle Gewaltverbrechen geht, durch ignorante Gerichtsbeteiligte erneut gedemütigt und traumatisiert werden? Welche juristischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sind notwendig, dass diese Taten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen geahndet, die meist männlichen Täter zur Rechenschaft gezogen und den meist weiblichen Opfern Gerechtigkeit durch die Rechtsprechung widerfährt?

Auf einem Auge blind? Podiumsdiskussion zu 10 Jahre IStGH
Dies waren zentrale Fragen bei der Podiumsdiskussion am 16.4.2012, zu der das Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit dem Wagenbachverlag in Berlin eingeladen hatte. Anlass war der 10. Jahrestag des Internationale Strafgerichtshofs (IStGH) am 1. Juli 2012.

Als Podiumsteilnehmer_innen diskutierten vor mehr als 80 interessierten Zuhörer_innen die Alternative Nobelpreisträgerin und Gründerin der Frauenorganisation medica mondiale Monika Hauser, deren Organisation unter anderem vor dem Internationalen Jugoslawientribunal die als Zeuginnen auftretenden Opfer unterstützt hat; der Rechtsanwalt und Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation ECCHR Wolfgang Kaleck, der in einem neu erschienenen Buch "Mit zweierlei Maß. Der Westen und das Völkerstrafrecht" die Praxis Internationaler Strafgerichte kritisch bilanziert hat, und die internationale Rechtsanwältin Silke Studzinsky, die als Nebenklagevertreterin seit 2006 im Roten-Khmer-Tribunal in Kambodscha durchgesetzt hat, dass die dortige Praxis von Zwangsheiraten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt wurde.

Einhellig wurde von den drei Expert_innen eine erhebliche Kluft zwischen politischem Anspruch, juristischen Normen und gesellschaftlicher Realität in Umgang und strafrechtlicher Verfolgung sexualisierter Kriegsverbrechen konstatiert. Allerdings waren ihre Ursachenanalysen und Schlussfolgerungen, wie dieses in besonderem Maße in allen Gesellschaften tabuisierte, aber auch verharmloste Verbrechen endlich angemessen juristisch vor Gericht abgeurteilt werden kann, dann doch sehr unterschiedlich und zum Teil kontrovers.

Soziale Bewegungen als Motor sexuelle Gewalt vor den IStGH zu bringen
W. Kaleck machte geltend, dass es bei diesen internationalen Strafverfahren generell nicht nur eine "gendersspezifische Blindheit" gebe, die zu den Schwierigkeiten der Etablierung sexualisierter Gewalt als Straftatbestand führe, sondern auch eine regionale Fokussierung und Beschränktheit existiere, vor allem bei Straftaten auf dem afrikanischen Kontinent. Er sieht die Erwartungen an den IStGH darüber hinaus mit "falschen Vorstellungen überfrachtet", da dieser angesichts außerordentlich geringer Ressourcen ohnehin nicht alle Verbrechen aburteilen könne, sondern sich auf die politisch Verantwortlichen und ihre Haftung als Vorgesetzte konzentriere. Abgesehen davon, dass wichtige internationale Akteure, wie die USA und Russland den IStGH für ihre Staatsangehörigen nicht anerkennen, stellte er die außerordentlichen Probleme polizeilicher und staatsanwaltlicher Ermittlungen in den jeweiligen Ländern dar. Diese potenzierten sich bei sexuellen Gewalttaten, zumal die Opfer in ihren lokalen Zusammenhängen meist darüber nicht sprechen würden, und wenn, sei ihre Sicherheit durch die im Umfeld lebenden mutmaßlichen Täter und deren Clans gefährdet, zum Beispiel im Kongo oder Sri Lanka. Für Kaleck sind soziale Bewegungen, die zivilgesellschaftliche Unterstützung der Opfer und die Enttabuisierung sexueller Gewaltverbrechen durch deren Engagement die Voraussetzung und Bedingung, dass diese Straftaten verstärkt vor Gericht kommen und die Täter dafür zur Verantwortung gezogen werden.

Justiz und Politik müssen die Bedingungen für die Anerkennung von sexualisierter Gewalt als Kriegsverbrechen schaffen
Demgegenüber liegt es nach Monika Hauser in der Verantwortung und im Aufgabenbereich der Justiz, der ermittelnden Institutionen ebenso wie der Internationalen Gerichte, aber auch der Politik, Bedingungen zu schaffen, dass Opfer-Zeuginnen mit sexualisierten Gewalterfahrungen vor Internationalen Gerichten aussagen können. Sie verwies auf den generellen gesellschaftlichen Hintergrund, nicht nur in den Post-Konfliktländer, sondern auch in westlichen Demokratien wie Deutschland, warum sexualisierte Gewalt kaum als Kriegsverbrechen verfolgt werden: sie gelten als "Kollateralschäden" von Kriegen und werden als strukturelles Problem nicht ernst genommen. Überzeugend machte sie klar, dass die Aufarbeitung dieser Gewaltverbrechen Voraussetzung für die Traumabearbeitung der Opfer, aber auch für gesellschaftliche Versöhnung ist. So lange sie beschwiegen und unthematisiert in den Gesellschaften bleiben, haben sie bis in spätere Generation hinein erhebliche Wirkungsmacht. Vehement widersprach Hauser auf dem Hintergrund der Arbeitserfahrungen von medica mondiale Kalecks These, viele der vergewaltigten und traumatisierten Frauen wollten nicht darüber sprechen. Die meisten Frauen seien durchaus bereit, gegen die Täter auszusagen, jedoch ließen die Gerichte diese Aussagen oft nicht zu, zum Teil, weil sie Verfahren beschleunigen wollten, zum Teil aber auch, weil Wissen über die Bedeutung und Funktion sexueller Ausbeutung fehle. Tatsächlich ist sexualisierte Gewalt ein wichtiger Faktor für die Rekrutierung von Soldaten und dient dem Zusammenhalt der Milizen. Daher müssten auch bei diesen Gräueltaten die Drahtzieher, die politischen und militärischen Verantwortungsträger und Befehlshaber gemäß ihrer Vorgesetzten-Verantwortung dafür juristisch belangt werden. Allerdings seien die besten Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt pro-aktive Regelungen. Dazu müssten Vorgesetzte generell verpflichtet werden. Insgesamt stellte Hauser ein Bündel von Maßnahmen vor, die im Rahmen der Justiz und durch politische Handlungsträger_innen umzusetzen sind, darunter die Einrichtung einer dauerhaften hochrangig angesiedelten Stelle einer Genderbeauftragten, klare Standards für den Umgang mit Opfer-Zeuginnen und umfassende Schutzmöglichkeiten im Rahmen der Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, die systematische Qualifizierung der Prozessbeteiligten bzw. von Ermittlungsbehörden und Jurist_innen bereits in der Ausbildung in Bezug auf sexualisierte Kriegsverbrechen und im Umgang mit Opfer-Zeuginnen und Nebenkläger_innen.

Zwangsheiraten unter den Roten Khmer wurden nachrangig verhandelt
In einer eindrucksvollen Schilderung ihrer Erfahrungen als Vertreterin von Nebenkläger_innen vor dem Tribunal gegen die Roten Khmer in Kambodscha unterstrich Silke Studzinsky die Problematisierung von M. Hauser. Vor dem Kambodscha-Tribunal - einem Hybridtribunal aus nationalen und internationalen Richter_innen - spielten 2006, als es seine Arbeit begann, sexualisierte Straftaten keine Rolle. Erst durch ihr Engagement konnte Studzinsky durchsetzen, dass unter anderem die von den Roten Khmer angeordneten massenhaften Zwangsheiraten als sexuelle Gewaltverbrechen mit angeklagt wurden, eine Gewalt, die Frauen wie Männer gleichermaßen traf. Denn auf Befehl der politischen Machthaber wurden überall im Land massenhaft Gruppenhochzeiten durchgeführt. Paare, die sich fast immer völlig fremd waren, wurden zu Eheleuten erklärt und mussten in derselben Nacht in einer ihnen zugewiesenen Hütte Sex haben, um Nachwuchs zu produzieren. Oft wurden sie überwacht, und wer sich weigerte, wurde mit Gefängnis oder Umerziehungslager bedroht. Beides sei, so Studzinsky, oft einer Todesdrohung gleich gekommen. Auch Studzinsky wies darauf hin, dass die Betroffenen über ihre Erfahrungen sprechen und sie öffentlich machen wollten, selbst wenn es zu keiner Verurteilung käme. Aber es brauche dafür auch Voraussetzungen, die ihnen ihre Aussage ermöglichten. Dazu gehöre die Wahrnehmung und Anerkennung des ihnen widerfahrenen Leids, eine spezifische Kompetenz der Prozessbeteiligten sowie der Wille, diese Taten strafrechtlich zu verfolgen. Dass diese Verbrechen auch in Kambodscha in ihrer Bedeutung missachtet werden, zeigt sich für Stduzinsky in einer Hierarchisierung der Anklagepunkte: zuerst würden Zwangsumsiedlungen als Verbrechen verhandelt, und erst danach Zwangsheiraten - falls die Angeklagten und die möglichen Zeug_innen dann noch lebten.

Wie wichtig das Aussprechen und Dokumentieren solcher Verbrechen für eine gesellschaftliche Verarbeitung ist, machte schließlich der mutige Beitrag einer Teilnehmerin aus dem Publikum deutlich: sie hatte als Kind bei Kriegsende im Nazi-Deutschland neben ihrer Mutter die Massenvergewaltigung durch einziehende Siegertruppen miterlebt. Eine Erfahrung, über dies sie nie - auch nicht mit ihrer Mutter - gesprochen hat und die in ihr bis heute weiter wirkt.